Özdemir in Diemantstein

Am 08. März 2024 kam Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zur Molkerei Gropper nach Bissingen. Um antigrüne Ausschreitungen zu verhindern, versuchte der Ortsverein Bissingen-Lutzingen einen konstruktiven Dialog mit konventionellen Landwirten in Bissingen zu organisieren. Mit Erfolg!

Wir erfuhren aus der Zeitung, dass der Bundeslandwirtschaftsminister am 08.03.2024 die Molkerei Gropper in Bissingen besuchen würde. Da waren die antigrünen Hassausbrüche in Baden-Württemberg, Biberach und Schorndorf, noch in unguter und frischer Erinnerung. Was können wir, als kleiner Ortsverein tun, um so etwas in Bissingen zu verhindern? Das Einzige war uns dazu einfiel war, den offenen Brief vom Dezember und das Autorinnenpapier zur Agrarpolitik unter den Landwirten so weit zu verbreiten, wie es möglich war. Bisher waren wir damit ja immer erfolgreich gewesen. Wenn ein Landwirt erst einmal dazu bereit ist, sich diese Papiere durchzulesen, merkt er in der Regel, dass wir Grüne sehr gute Argumente für ein sehr gutes Agrarprogramm haben.

Unser Ortsverein hatte folgende Idee: wenn es bisher schon gelungen war Vertrauen zu konventionellen Landwirten aufzubauen, vielleicht sind sie dann ja zu einem konstruktiven Dialog mit Özdemir bereit? Der Ortsbäuerin wurde ein Besuch abgestattet: „Wenn es uns gelingt, den Bundeslandwirtschaftsminister nach Diemantstein zu lotsen, seid ihr zu einem konstruktiven Dialog bereit? Also, kein Niederbrüllen, keine Ampelgalgen, jeder lässt jeden ausreden?“ Sie waren dazu bereit.

Von Landwirtsseite wurden wir an den Vorstand der örtlichen Milcherzeuger Genossenschaft, Josef Zeller, verwiesen.

Wieder das gleiche Muster: er beschwerte sich über viele Dinge, die wir Grüne gar nicht zu verantworten haben und für die wir sehr oft sogar eine vernünftige Lösung anbieten können! Am Ende erklärte er sich dazu bereit, einen konstruktiven Dialog zu organisieren, wenn uns das Kunststück mit dem Özdemir gelingen würde. So richtig glaubte er noch nicht daran und wir auch nicht.

Nach mehreren, nicht immer glücklichen, Versuchen gelang es uns endlich, Kontakt mit der Büroleiterin von Cems Büro herzustellen. Der Fall wurde ihr geschildert und der Büroleiterin war sofort klar, welchen Charakter diese Veranstaltung haben würde und wie wertvoll ein konstruktives Gespräch zwischen Cem und Landwirten in der jetzigen, aufgeheizten Zeit ist. Wir bekamen eine Stunde für den Dialog mit Cem.

Mit dieser zugesagten Stunde ging der Weg wieder zu Josef Zeller der sofort damit begann, in enger Absprache mit der Büroleiterin, den konstruktiven Dialog zwischen Landwirten und Agrarminister zu organisieren. Und da kam Einiges auf ihn zu! Staatsschutz, Kripo, Polizei, Listen mit Themen und Teilnehmern, man macht sich keine Vorstellung, was man da alles beachten muss. Aber die Büroleiterin und Josef Zeller arbeiteten gut zusammen und wir lernten Herrn Zeller als Organisationsgenie kennen.

Er ist ein studierter Landwirt, sein Büro ist mit Bildschirmen, Computern und Druckern vollgestellt. Und zwischen Webinaren, Fortbildungen, Organisationsarbeit für den Bauernverband und dem Führen seines Milchviehbetriebes, organisierte er das Treffen, lud Vertreter vom Bauernverband wieder aus die nur Unterschriften pro Anbindehaltung übergeben wollten, entwarf ein Programm (übrigens minutengenau: der erzählt 5 Minuten zu dem Thema, der 6 Minuten zu dem anderen Thema, Özdemir antwortet 15 Minuten, …), druckte Tabellen aus, usw. usf. Der Hammer!

Darüber hinaus verhandelte er mit den protestierenden Landwirten, die natürlich ihre Demo schon angemeldet hatten: keine Ampelgalgen, keine Blockaden, keine Anhänger, keine Aufbauten, die Trecker werden ordentlich auf dem Parkplatz abgestellt.

Das Gespräch selbst wurde unter strengster Geheimhaltung vorbereitet. Im Hintergrund drohten ja immer noch herumreisende Protestbauern, die nicht reden, sondern nur brüllen und alles kaputt machen wollen. Das bedeutet: nur diejenigen einweihen, die unbedingt notwendig sind. Josef Zeller hat sogar daran gedacht, einen Tarn-Ort zu erfinden, um mögliche Saboteure in die Irre zu führen.

Am besagten Tag erkundeten wir die Lage beim Gropper in Bissingen. Wir konnten nur feststellen, dass sich die protestierenden Landwirte an alle Abmachungen hielten und ihre Zugmaschinen ordentlich auf dem Parkplatz abgestellt hatten. Keine Galgen, kein Gebrülle, niemand mit Schaum vor dem Mund.

Um zur angesagten Stunde auf den Hof von Herrn Zeller zu gelangen, musste erst eine Straßensperre überwunden werden, die von einem Erwachsenen und vier Kindern in orangeroten Westen gebildet wurde.

Als der Tross mit den Berliner Kennzeichen auf dem Hof eintraf wurde es ernst. Cem kam natürlich erst mit Verspätung, weil er es sich nicht nehmen lassen wollte, mit den protestierenden Landwirten vor der Molkerei Gropper ebenfalls zu diskutieren. Die Büroleiterin hatte uns da schon vorgewarnt, das war ihm einfach nicht auszutreiben. Ein sympathischer Zug, mit jedem ins Gespräch kommen zu wollen!

In einer Maschinenhalle war alles aufgebaut: eine Stellwand, mit Grafiken, Tabellen, Beispielen, eine Treckerschaufel voller Erde, um ein bestimmtes Dünger-Thema zu illustrieren, Kaffee und Kuchen.

Unser Minister Özdemir stellte sich bei den Zellerkindern mit „Ich bin der Cem“ vor.

Die Straßensperre

Josef Zeller erzählte von Bäumen, die er als Kind mit seinem Vater in ihrem Wald gepflanzt hatte und die jetzt in Folge des Klimawandels kaputt gingen.

Damit war der konstruktive Ton gesetzt.

Die vortragenden Landwirte sprachen voller Leidenschaft, detailgetreu und entwickelten ihre Probleme mit Bürokratie und Vorschriften, die nicht wirklichkeitsnah sind und in ihrer Anwendung manchmal das Gegenteil von dem bewirken, was sie bewirken sollen.

Cem Özdemir hörte zu, hakte nach, fragte seine mitgereisten Fachleute, erklärte. Zum Schluss nahm er einen Umschlag entgegen, in dem die geschilderten Probleme und Änderungswünsche noch einmal zusammengefasst waren, und versprach sich darum zu kümmern. Inzwischen bekäme er ja, dank der Bauernproteste, öfter mal eine Audienz beim Kanzler.

Niemand nahm das Wort „Agrardiesel“ in den Mund!

Die Veranstaltung kann man nur als großen Erfolg bezeichnen! Eine WhatsApp die unseren Ortssprecher am selben Abend noch erreichte, machte uns besonders stolz. Ein viel demonstrierender Landwirt bedankte sich, und merkt an, dass er jetzt „diesen Politiker aus einem anderen Blickwinkel“ sieht.

Ein berührenderes Signal für Erfolg hätten wir uns in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen können. Damit kann man wohl davon ausgehen, dass der radikalisierende Einfluss von AfD und Identitären auf die Landwirte hier in Bissingen erst einmal eingedämmt ist.

Auch nach diesem großartigen Erfolg: wir waren froh, als es vorbei war.

Auch der Bayrische Rundfunk hat berichtet: Bauern vs. Politik: Özdemir im Dialog mit Landwirten in Schwaben